(1) wo kommen eigentlich die kinder her?
(2) faszination fußball
(3) gibt es heute eigentlich noch helden?
(4) schöne worte




Viertes Expertengespräch

Schöne Worte


Kuttner: Können wir jetzt anfangen, ja? Ähm, guten Abend liebe Hörerinnen und Hörer, guten Abend, lieber Stefan Schwarz, der Du mir da gegenüber sitzt, eingeladen (Trötenton), heute mit leichtem Hang zur Infantilität (Trötenton) und seiner Kindertröte, die ihm die Mutti um den Hals gehängt hat, ausgestattet. Wollen wir uns doch heute eher aufs Wort beschränken und versuchen, die Musik, die ja im griechischen musiké wurzelt (Trötentöne) und die Einheit von Tanz, Wort und Musik meint, beiseite lassen, weil ja Tanz - Musik weniger - aber gerade der Tanz eine relativ radiountaugliche Ausdrucksform ist. Wir werden uns hier beschränken müssen aufs Wort, zumal das heutige Thema ja auch lautet: Schöne Worte. Mir gegenüber also Stefan Schwarz, der Spezialist vom Wörther See, der heute gemeinsam mit mir versuchen wird, hier Auskunft zu geben zum Thema und dem nachzuspüren, was die eigentliche Intention und die schöpferische Leistung der Sendung sein sollte. Denn mehr als Vorgaben können wir hier nicht machen und wir sehen uns angesichts dieses Themas ... jetzt könntest Du langsam mal das Wort ergreifen ... gezwungen ..., gezwungen..., Stichwort...

Schwarz: Jaaa.

Kuttner: Gezwungen, eher. Das zur Einführung, liebe Hörer, wir werden hier ein Skelett bauen, das Sie selbst mit Fleisch, Innereien, Blut, aber auch mit Fäkalien anfüllen müssen.

Schwarz: Scheiße.

Kuttner: Ähm, wir werden uns hier nur in der Lage sehen, eine kurze Abbreviatur eines Expertengespräches zu liefern, eigentlich einen Meta-Dialog, eine kurze Propädeutik in Bezug auf das heutige Thema: Schöne Worte. Und meine Frage an Stefan Schwarz ... Ich rede jetzt fünf Minuten und bitte dich, nochmal nachdrücklich darum, das Wort zu ergreifen ... es ist durchaus bekannt, daß Du einer der einsilbigsten Experten, wenn einsilbig überhaupt eine Steigerung verträgt, bist, nichtsdestotrotz würde ich Dich jetzt an dieser Stelle, nachdem jetzt bestimmt sieben Minuten schon rum sind, bitten, doch endlich mal eines der zahllosen, hier im Raum verteilten Worte zu ergreifen, mithin die Rede an Dich zu reißen, und das, was ich hier in durchaus bewundernswerter Weise schon vorentwickelt habe, fortzuführen!

Schwarz: Logozid. Logozid.

Kuttner: Wir müßten vielleicht erst einmal erklären, warum wir uns gezwungen sehen, hier nur eine Abbreviatur eines Expertengespräches zu führen.

Schwarz: Ganz klare Reduktion des vorhandenen Wortreichtums, quasi Logozid.

Kuttner: Mir kommt jetzt offensichtlich die Rolle zu des ... nun nicht Wortführers, aber des doch Wort...

Schwarz: Duden, Duden, ich sage Stichwort Duden.

Kuttner: ...des Wortbegleiters. Das Problem, liebe Hörerschaft, besteht nämlich darin, daß man, wenn man geschichtlich ans Thema heranginge, man von vornherein feststellen würde, daß die Frühgeschichte...

Schwarz: ...Also logos, in der ursprünglichen Bedeutung...

Kuttner: ...die Frühgeschichte der Menschheit...

Schwarz: ...evolutionärer Vorteil (s. Anm. 1)...

Kuttner: ...einen Kosmos unterschiedlicher Worte...

Schwarz: ...des Logozids ...

Kuttner: ...geboten hat, mithin für jeden einzelnen Gegenstand ...

Schwarz: ...immer straffere Reduktion, Bedeutungskonzentration ...

Kuttner: ...für jeden Teil eines Gegenstands,...

Schwarz: ...quasi eine Wortmonopolisierung ...

Kuttner: ...für jeden Teil eines Teils eines Gegenstandes ein einzelnes Wort ...

Schwarz: ...Klassenbildung ...

Kuttner: ...ein unendlicher Wall, eine Milchstraße an Worten ...

Schwarz: ...als das eigentliche Verbrechen und dann natürlich die Definitionsmächtigkeit intellektueller Eliten ...

Kuttner: ...über die die Menschen verfügten ...

Schwarz: ...quasi separater Überlieferungsträger ...

Kuttner: ...und wir sehen uns dann einer geschichtlichen Tendenz ausgesetzt, ...vielleicht an dieser Stelle noch ein kurzer technischer Hinweis, liebe Hörerschaft, Sie haben jetzt die Möglichkeit und die Wahl, mit Hilfe Ihres Balancereglers, den Ausführungen entweder Stefan Schwarzens oder mir zu folgen, wenn Sie denn nicht in der unglücklichen Situation sein sollten, ein Mono-Radio zu besitzen, ansonsten entscheiden Sie sich für eine Seite und Sie haben dann die Möglichkeit, den extrem verknappten Exkurs Stefan Schwarzens (s. Anm. 2) zu folgen oder meinen Hinweisen, Fußnoten, Erläuterungen, meiner Übersetzung des Schwarzschen Textes. ...Weiter im Text: Wir sehen uns in der Frühgeschichte einem unendlichen All...

Schwarz: Also das eigentliche Erschaffen, die Mäeutik, die Mäeutik des Gespräches, das Hervorbringen von Wortbedeutungen ...

Kuttner: ...unterschiedlicher Worte gegenüber, aber dann, mit der Klassenbildung ...

Schwarz: ...die wir im Prozeß des Erschaffens selber neu als Wahrheit gewinnen, Wahrheit als Arbeit, Wahrheit als Wortarbeit ...

Kuttner: ...den Prozeß der Kapitalisierung des unendlichen Wortreichtums und Reichtum - hier in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht gemeint - ...

Schwarz: ...und dann natürlich darüber hinaus ...Synonyme. Das Einführen der Synonyme, Synonyme als Feinde des konkreten Begriffs ...

Kuttner: ...mit all seinen Folgen von Bauernlegen, Akkumulation des Wortreichtums, Schatzbildung, Kartellbildung, Monopolbildung ...

Schwarz: ...Synonyme als alles umfassende Wörter, die für ein und dasselbe und für eine Klasse von Dingen stehen, ...

Kuttner: ...und all den fatalen Auswirkungen, die bis ins 20. Jahrhundert reichen, bis hin zur adornitischen Dominanz und Herrschaft des Allgemeinen, ...

Schwarz: ...die man dann immer wieder bezeichnen kann, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, was man konkret meint. Z.B. am Anfang der modernen Geschichte ...

Kuttner: ...ein Gespräch im utopischen Sinne, ein Gespräch, das sich der unendlichen Vielfalt unendlicher Worte bedienen könnte, müßte, und lassen Sie mich hier jetzt das Wort "onomatopoetisch" gebrauchen...

Schwarz: ...von abhängig Beschäftigten unter dem extremen Zeitdruck, unter dem extremen Zeitdruck, daß sie sich Aussprachbarrieren schöner Worte nicht mehr leisten konnten ...

Kuttner: ...müßte verlaufen in einer Form, die heute nur noch in rudimentären Ansätzen in der Babysprache zu finden ist ...

Schwarz: ...und deswegen den Rückgriff, quasi den Rekurs genommen haben auf, ich würde sagen lautmalerische ...

Kuttner: ...lautmalerisch, eben fiel hier das Stichwort von Stefan Schwarz

Schwarz: ...das war das Stichwort, Stichwort lautmalerisch...

Kuttner: ...die Babysprache als ein Reservoir, ein utopischer Ort ...

Schwarz: ...der personalisierte, individualisierte, die Expression, die pure Expression, die nur noch von sich zum Ding den kurzen Strahl nicht irgendeiner Bedeutung nimmt ...

Kuttner: ...einer Sprache, die noch aller gesellschaftlichen Zwänge ledig ist, die einen frühen Vorschein einer wortbefreiten, unendlich reichen Gesellschaft zeichnet.

Schwarz: ...sondern nur noch dessen, was auf den Menschen sich eindrückt und von ihm einen Ausdruck verlangt.

Kuttner: ...Wir sehen uns also gezwungen auf Kosten der Verständlichkeit hier unendlich zu reden, eine Vorstellung, die bezaubernd schön ist, die berückend schön ist, die berührend ist, die aber durch die unsägliche Logophobie dieses unerträglich öffentlich-rechtlichen Senders, durch die Wortfeindlichkeit dieses Senders natürlich verhindert wird, weil die Sendung auf drei Stunden beschränkt ist und weil das Expertengespräch noch stärker beschränkt ist. Wir hätten die Gelegenheit, den Zwang gehabt uns hier mit baba, ata, dätsch zu verständigen, wären nicht verstanden worden ...

Schwarz: ...tütütütütü

Kuttner: ...und hätten unendlich viel mehr Zeit gebraucht. Darum sehe ich mich jetzt ...

Schwarz: ...ei nämnämnämnäm

Kuttner: ...würde ich jetzt, wollen wir an dieser Stelle

Schwarz: ...hhmmmmm ...

Kuttner: ...und nun langsam Schluß machen. Ich bitte um ihr Verständnis dafür, daß wir hier ...

Schwarz: ...babababa huiiiiii

Kuttner: ...nur ein Skelett, ein Gerüst der Folgen des insgesamt sehr reichen, interessanten Themas bauen konnten und wir verabschieden uns an der Stelle mit ...also ich würde mich dann verabschieden mit einem Tchüüüssi...

Schwarz: ...hödjö, hallo Deutschland

Kuttner: ...Ja, das war jetzt die Verabschiedung von Stefan Schwarz - und das war zugleich die letzte wortbegleitende Maßnahme meinerseits, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!






Anmerkungen


Anm 1: So kennt die Sprache der Inuit, die sich selber "Eskimos" nennen, 12 verschiedene Worte für Schnee. Im Gegensatz dazu kennt, die deutsche Lebensmittelindustrie nur 11 Worte zur Bezeichnung von Nuß-Nougat-Krem. Daß sie damit einen evolutionären Vorsprung besitz, läßt sich schon daran erkennen, daß Nuß-Nougat-Krems mittlerweile auf jedem zweiten Frühstückstisch stehen, was sich von arktischem Schnee wahrlich nicht behaupten läßt. zurück

Anm. 2: An dieser Stelle gerät der Diskurs in exquisite Selbstbezüglichkeit, ist doch Dr. Jürgen Kuttner genötigt, für die Genitivbildung des Nachnamens Stefan Schwarzens eine Hilfsilbe einzufügen, da seine unförmige Zunge es ihm verbietet, weithin hörbar "Schwarz's" oder noch richtiger "Schwarz'" zu artikulieren. Ein möglicher Hinweis darauf, aus welchen trivialen zungenbrecherischen Gründen Hobbykoch Markus Wolf die "Zutaten zur Herstellung des original russischen Borschtschs" noch immer verschweigt. zurück





Erklärung der im Gespräch verwendeten Fremdworte


ata: (babysprachl.) "gehen", "stolpern", "voll hinschlagen und herumschreien", indogerm. Atavismus untergegangener Reitervölker, dessen Übernahme in die Babysprache wissenschaftlich ungeklärt ist.

Logos: (griech.) "das gesprochene Wort", die Rede allgemein; bei Philon ist der L. die ewige Vernunftkraft, der Mittler zwischen Gott und Mensch. Überhaupt wird im griechischen Denken dem L. weltschaffende Kraft zugesprochen. So diente die pejorative Anrede "Wichser!" im alten Athen nicht der Beschreibung einer Person, die überwiegend rückenmarkschwächenden Tätigkeiten nachgeht, sondern schuf im ausgesprochenen Wort erst den bis dahin unbekannten Tatbestand. ("Am Anfang war das Wort" in: Gott. Goldene Worte Bd. 1, S.1)

Logophobie: (griech.) "Wortangst", antihellenistisches Logoskonzept im Radiomarketing, Beschränkung der Wortbeiträge im Rundfunk auf die max. Länge von 1 Minute und 30 Sekunden, um einer Überdüngung der Radiolandschaft durch unentwegt Scheiße redende Moderatoren zu verhindern.

Logozid: (griech.) "Wortvernichtung", Reduktion des vorhandenen Wortreichtums, um Zeit zum Essen zu gewinnen (s.a. John F. Volksmund: "Beim Essen muß man stille sein, sonst geht nichts in den Mund hinein"), stellt damit einen evolutionären Vorteil dar.

Mäeutik: (greich.) "Hebammenkunst", Kunst und methodisches
Verfahren des Sokrates, durch geschicktes Fragen, den Lernenden zur Erkenntnis zu führen.

musiké: eigentlich die Musenkunst überhaupt , hat aber einen viel weiteren Umfang als den der bloßen Tonkunst. Sie umfaßt jede geistige Bildung, also die wissenschaftliche so gut wie die künstlerische, vornehmlich daher Philosophie, die Poesie, die Mimik, Orchestik, ja selbst die Mantik, nicht jedoch die Kunst, Vogelstimmen zu imitieren (vgl. auch Kammersänger Rainer Süß und seine Sendung "Da liegt Musike drin").

onomatopoetisch: (griech.) "lautmalerisch", nicht zu verwechseln mit "mundgemalt" (mouthpainted)